Nicht zuletzt der politische Streit um die Kapitänin Carola Rackete, die aus Seenot gerettete Flüchtlinge gegen den Willen der italienischen Regierung nach Lampedusa gebracht hat, zeigt, wie aktuell das Thema „Flucht und Asyl“ in Europa ist. Inwiefern sehen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihrem Handeln (noch) an die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gebunden? Welche Bedeutung hat die 1990 verabschiedete Dubliner Übereinkunft für die Asylpolitik in Europa? Welche Interessen und Differenzen bestimmen die gegenwärtige politische Auseinandersetzung über die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in Europa? Ist die Sicherung der EU-Außengrenzen gleichbedeutend mit einer Abschottung im Sinne einer „Festung Europa“? Um diese und andere Fragen zu klären, führte der Grundkurs Q1 SW G3 des Gymnasiums Verl am 27. Juni 2019 ein von der Landeszentrale für politische Bildung veröffentlichtes Planspiel zur Flüchtlings- und Asylpolitik in der EU durch.
Die sechsstündige Simulation eines EU-Sondergipfels begann für die 23 Schülerinnen und Schüler in der ersten Stunde mit einem informierenden Einstieg in das Thema. Danach nahmen alle ihre Rollen als Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sondergipfels ein und setzten sich intensiv mit „ihrem“ Land auseinander.
Eröffnet wurde die Simulation des Sondergipfels durch die Präsidentin des Europäischen Rates (Nené Gockel) und die EU-Kommissionspräsidentin (Karolin Folkers). Anschließend erhielten die Vertreterinnen und Vertreter der teilnehmenden Mitgliedsstaaten die Gelegenheit, ihre Position zur Flüchtlings- und Asylpolitik zu formulieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass es sehr schwierig werden würde, eine gemeinsame Haltung in dieser Frage zu erreichen. In einer engagiert und teilweise hitzig geführten Diskussion zeigten sich vor allem die gegensätzlichen Standpunkte der Mittelmeeranrainerstaaten (vertreten u.a. von Josefin Beckmann und Marcel Kipshagen), die sich angesichts der Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge überfordert und durch die Dublin-Übereinkunft benachteiligt sahen, und der Mitglieder der sog. Visegrad-Gruppe (vertreten v.a. von Anja Peters), die eine konsequente Sicherung der EU-Außengrenzen forderten und nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit waren.
Ausgehend von der Einsicht, dass man die Dublin-Übereinkunft dringend reformieren müsse, um eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu erreichen, und den dringenden Appellen der EU-Kommissionspräsidentin, nationale Interessen zugunsten einer gemeinsamen europäischen Politik zurückzustellen, gelang es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern schließlich, eine gemeinsame Abschlusserklärung zu formulieren, die den südlichen Mitgliedsstaaten jedoch lediglich finanzielle Hilfen in Aussicht stellt und keine konkreten Aussagen zur einer verantwortungsvollen und gerechten Flüchtlings- und Asylpolitik enthält.
Trotz des recht ernüchternden Ergebnisses beurteilten alle Schülerinnen und Schüler im Abschlussgespräch das Planspiel sehr positiv. Es habe nicht nur Spaß gemacht, sich ein Unterrichtsthema auf eine ganz andere Art und Weise zu erschließen und miteinander zu diskutieren, vielmehr noch habe man einen Einblick in die Komplexität des Themas erhalten und verstehen gelernt, warum es innerhalb der Europäischen Union aufgrund nationaler Egoismen und populistischer Politik nach wie vor so schwierig ist, eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik zu verwirklichen. Einig war man sich jedoch auch darin, dass die europäischen Staaten das Problem nur gemeinsam lösen können. Dafür brauche es neben dem politischen Willen zu allererst „strong institutions“, wie es die Vereinten Nationen seit 2012 explizit fordern.